Argumentarium
Verletzlichkeit der direkten Demokratie
Der Abstimmungskampf um die «No Billag»-Initiative und die höchst intensiven, zum Teil aggressiven Diskussionen
um Funktion und Rolle der SRG als öffentliches Medienhaus haben aufgezeigt, wie verletzlich demokratische Institutionen
im Allgemeinen und die Idee des Service Public im Besonderen sind. Der Angriff auf die unabhängige, zur Ausgewogenheit verpflichtete
SRG war ein klarer Versuch, die bisherige gesellschaftliche und medienpolitische Richtschnur zu zerschneiden. Man wollte mehr Kommerz,
Boulevard, Fake News und Fox News für die Schweiz. Die direkte Demokratie wäre in Richtung einer Demokratie der Geldmächtigen gedrängt worden,
die wie in den USA die Gesellschaft spaltet. Nicht mehr und nicht weniger.
Korrekte Information bleibt in Gefahr
Dabei standen die Unabhängigkeit und Wahrheit der Information schon längst vor der «No Billag» unter Druck.
In Sozialen Medien nehmen Fake News ein Ausmass an, dass einzelne Staaten bereits Gesetze dagegen erlassen.
Filterblasen bewirken eine grossflächige Desinformation. Eine echte Gefahr für die Demokratie. Umso wichtiger ist der
politische Einsatz für die Medienvielfalt – mit privaten Anbietern und einem Service Public, der den Prinzipien der korrekten
Darstellung, der Ausgewogenheit und Sachgerechtigkeit verpflichtet ist. Nur wenn sich alte und neue Medienanbieter und die SRG
gegenseitig stärken, haben Schweizer Medien Google, Facebook & Co. etwas entgegenzusetzen. Der alte Grabenkampf zwischen Verlegern und SRG ist überholt.
Moderne Medienpolitik bringt mehr Souveränität
Die Herausforderung einer demokratischen Meinungsbildung und verlässlichen Information im digitalen Zeitalter muss aktiv angepackt werden.
Sonst wird die direkte Demokratie immer stärker von Geldmächtigen und/oder von ausländischen Medienkonzernen abhängig, was eine Schwächung unserer
Souveränität bedeutet. Möglicherweise braucht es ausserdem verfassungsrechtliche Grundsätze, damit öffentlich finanzierte Medien besonders sorgsam
mit unseren Daten umgehen, aber auch Leitlinien zur Eindämmung von Fake News und Hass-Tiraden sowie zur Sicherung der Netz-Neutralität, die eine
Voraussetzung der Medienvielfalt ist.
Recht auf Informiertheit
In der globalisierten, digitalen und zusehends fragmentierten Medienwelt ist der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf ein umfassendes,
frei zugängliches Angebot an journalistisch hochwertigen und glaubwürdigen Inhalten entscheidend – egal, ob diese Inhalte am Radio,
am Fernsehen, online oder in den Sozialen Medien verbreitet werden. Ein Eindämmen des Internet-Angebots der SRG und öffentlich mitfinanzierter
privater Sender wäre kontraproduktiv. Im Gegenzug sollen SRG-Inhalte frei zugänglich und für sämtliche Medienanbieter, die den journalistischen
Berufsethos achten, zur Verfügung stehen, sofern es die Urheber- und Nutzungsrechte erlauben.
Immer mehr Gebührenzahler informieren sich fast ausschliesslich in den Online-Medien. Es ist nicht einzusehen,
weshalb insbesondere jüngeren Menschen Service-Public-Leistungen, für die sie bereits bezahlt haben, vorenthalten werden sollen.
Die junge Generation, die in unsere Demokratie hineinwächst, hat ein Anrecht auf ein umfassendes und neutrales öffentlich-rechtliches Angebot an Informationen.
Veraltetes Gesetz neu denken
Die geltenden Grundlagen im Artikel 93 der Bundesverfassung und im Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) sind veraltet.
Wer auf dieses Gesetz aus den analogen 1980er-Jahren pocht, um eine zeitgemässe Medienregelung für digitale Angebote zu vereiteln,
schadet sowohl dem Service Public als auch dem gesamten Medienplatz Schweiz. Das Spielen auf Zeit muss angesichts der technologischen
Entwicklung und des sich laufend ändernden Verhaltens der Mediennutzerinnen und -nutzer ein Ende haben. Die Schweiz braucht eine neue
Verfassungsbestimmung für alle elektronischen Medien und zeitgemässe Rahmenbedingungen für ein digitales, vielfältiges Medienangebot.
Digitaler Service Public – Chance für neue Anbieter
Journalismus und Technologie sind nicht mehr zu trennen. Die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten für ganz neue,
oft kleine Medien-Start-ups – die aber derzeit unter den, für einen Einzelnen, zu hohen Kosten der digitalen Infrastrukturen für Produktion,
Vertrieb und Vermarktung der Inhalte leiden. Der neue «Journalismus ohne Verleger» (Postpublisher-Ära) braucht gemeinsame Infrastruktur-Angebote,
die für alle offen sind, damit junge, unabhängige Medienmarken, neuer Wettbewerb und eine vielfältige Medienlandschaft wieder wachsen. Zudem sollen bereits
finanzierte und produzierte SRG-Inhalte – ebenso wie die Inhalte einer notwendigerweise öffentlich subventionierten Nachrichten-Agentur –
allen Medienunternehmen zur Verfügung stehen. Auf solcher Basis wird es möglich sein, insbesondere die lokale und regionale Informationsabdeckung
und -Vielfalt breit zu stützen und den Aufbau von neuen, unabhängigen Medienunternehmen zu erleichtern, da die Kosten deutlich sinken.
Die knappen Mittel können so vorwiegend in den journalistischen Inhalt der Publikationen fliessen. Service Public, neu gedacht, sorgt für eine
zukunftstaugliche SRG und dafür, dass neue, unabhängige Medienangebote und Start-ups entstehen können.
Es eilt
Unabhängiger Journalismus ist in vielen Bereichen kein Geschäft mehr.
Wir brauchen ihn in einer direkten Demokratie aber trotzdem, und mehr denn je.
Gerade auch auf lokaler und regionaler Ebene. Rahmenbedingungen für die Erneuerung der digitalen Medienlandschaft, das ist die wirkliche Kernaufgabe
der Medienpolitik – mit der SRG und nicht gegen die SRG; mit Verlegern, die für den Strukturwandel aller Medien einstehen; und mit besseren Chancen
für junge Medien-Start-ups, die im digitalen Zeitalter den Medienplatz beleben. «No Billag» hatte die medienpolitische Debatte auf die völlig
falsche Fährte geführt. Jetzt braucht es einen frischen Ansatz, einen frischen Anlauf. Es eilt, die Digitalisierung wartet nicht.